„Der Sport ist mein Medikament“
Ein Interview mit Alexandra, die nicht trotz Krankheit, sondern gerade deswegen zum Laufen und zur gesunden Ernährung gefunden hat.
Alexandra ist 39 Jahre jung, arbeitet als Kinderpflegerin mit Zusatzqualifikationen zur Entspannungs- und Bewegungspädagogin in einem Kindergarten und lebt mit Ihrem Lebensgefährten in Gevelsberg (Nordrhein-Westfalen).
Multiple Sklerose hat Alexandra vor 18 Jahren gezwungen, ihr Leben neu zu sortieren. Ihrer Lebensfreude und ihrem Optimismus jedoch konnte die Krankheit nichts anhaben. Im Interview erzählt sie uns von Ihrem Leben mit MS und wie sie mit und durch Sport der Krankheit den Kampf angesagt hat.
Multiple Sklerose kurz MS genannt ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die das Gehirn und das Rückenmark betrifft und meist im jungen Erwachsenenalter beginnt. Bei einer MS können im Zentralen Nervensystem Entzündungen entstehen, die eine Vielzahl von Symptomen auslösen können. Daher man nennt sie auch die Krankheit mit den 1000 Gesichtern. Die häufigsten Symptome sind Sehstörungen, Muskelschwäche, Sensibilitäts- und Bewegungsstörungen bis hin zu Lähmungen. Die Krankheit lässt noch viele Fragen offen und ist in Verlauf, Beschwerdebild und Therapieerfolg von Patient zu Patient verschieden. MS verläuft meist schubförmig, d. h. es entwickeln sich episodisch Krankheitssymptome, die sich nach einem gewissen Zeitraum spontan oder unter einer Schubtherapie zurückbilden- ganz oder zumindest teilweise. MS ist bis heute nicht heilbar und die Ursachen der Erkrankung sind nach wie vor ungeklärt.
Ein(ige) Vorwort(e) von Markus:
Nach dem Bad Wolf Run im vergangenen Jahr bin ich über die sozialen Netzwerke mit Alexandra in Kontakt gekommen. Alexandras Kampfgeist beindruckte mich sehr und ich bot ihr meine Hilfe in Form eines individuellen Trainingsplans an. Mit dem Hintergrund, dass sie durch die Optimierung ihres Trainings zur Wettkampfvorbereitung auf den Bad Wolf Run 2018 ihrem Körper die Chance gibt, gut zu reagieren und sie dadurch der Krankheit nicht die Möglichkeit gibt, durch ein Übertraining die Oberhand zu bekommen. Ich danke Alexandra dafür, dass sie ganz spontan dazu bereit war, mit ihrer Krankheit offen umzugehen und sie andere hiermit motivieren möchte, sich nicht aufzugeben. Wir möchten mit diesem Interview den Menschen aufzeigen, wie sehr Sport unsere körperliche und seelische Gesundheit bereichert und dass wir unsere Gesundheit mit Sport langfristig erhalten können, dass durch Sport und Bewegung und der richtigen Einstellung wir einiges zu leisten im Stande sind; und besser noch, wir können dadurch Krankheiten lindern, sie in Schach halten oder vielleicht sogar besiegen!
Frage 1: Erinnerst Du Dich wie alles angefangen hat?
Alexandra: Es war in 2000, wir waren zwischen Weihnachten und Neujahr an einem schönen Wintertag spazieren. Den Tag darauf hatte ich plötzlich ein taubes linkes Bein. Erst dachte ich, ich hätte mich irgendwie vertreten, aber nach 2 Wochen war es noch nicht besser. Ich ging zum Orthopäden, der aber konnte nichts feststellen und überwies mich zum Neurologen. Dort habe ich dann 5 Tage lang hochdosierte Kortisoninfusionen bekommen. Nach einem MRT und einer Nervenwasseruntersuchung, wo das Wasser aus dem Rücken entnommen wird, vermutete der Neurologe, dass es eventuell MS sein könnte. Ich lebte 1 Jahr in der Ungewissheit ob ich MS habe oder nicht. Als dann 1 Jahr später, also in 2001 der nächste Schub kam, stand die Diagnose fest.
Frage 2: Welche Gefühle hat die Diagnose in Dir ausgelöst?
Alexandra: Ich hatte sehr große Angst. Man kennt ja nur die schlimmen Fälle, ich dachte direkt an ein Leben im Rollstuhl. Darüber hinaus hatte ich Sorge, wie meine Partnerschaft die Krankheit verkraftet. Inzwischen feiern wir „20-Jähriges“.
Frage 3: Wie ging es dann für Dich weiter?
Alexandra: Ein Freund meines „Schwiegervaters“ ist Physiotherapeut und hat mich fast 1 Jahr lang kostenlos 1-2 die Woche für 1-2 Stunden behandelt. Durch seine Behandlung ist die komplette Taubheit in meinem linken Bein verschwunden, sodass ich nichts zurückbehalten habe. Später hab ich angefangen, Medikamente, in Form von Spritzen, gegen die MS zu nehmen. Nach 11 Jahren war ich diese Spritzerei dann leid und setzte sie ab. Die folgenden 5 Jahre nahm ich nichts und kam klar. Dann kamen Medikamente auf den Markt, von denen mein Neurologe meinte, ich müsse diese nehmen und da ich ihm vertraute, tat ich das auch. Darauf folgten innerhalb von 6 Wochen 2 Schübe, also genau das Gegenteil war erreicht und ich setzte sie wieder ab. Das hatte zufolge, dass mein Neurologe -auf gut deutsch gesagt- mich mit dem Arsch nicht mehr anschaute, weil er ja somit an mir nichts mehr verdiente und ich suchte mir einen Anderen. Bei diesem bin ich noch heute und er sagte damals zu mir, dass er lediglich eine Empfehlung für Medikamente aussprechen kann, aber allein der Patient entscheidet, ob er sie nimmt. Ich habe einiges an Medikamenten ausprobiert, aber immer wieder wegen Unverträglichkeit abgesetzt. Das brachte mich schlussendlich zu der Einsicht, dass mein Körper es ohne Medikamente schaffen will, gegen die MS anzukämpfen. Heute bin ich medikamentenfrei und sehr froh darüber.
Letztes Jahr begann ich zusätzlich, meine Darmflora aufzubauen, indem ich ein Präparat einnehme und so gut wie keine Weizenprodukte mehr esse. Die Belohnung zeigte sich im MRT-Befund, einige meiner Herde haben sich verkleinert und einige sind sogar komplett verschwunden.
Frage 4: Welche sind Deine Hauptsymptome?
Alexandra: Taubheitsgefühle und Kraftlosigkeit im linken Bein.
Frage 5: Wie kann ich mir das vorstellen? Wie fühlt sich das an?
Alexandra: Diese Taubheit fühlt sich an als würde man in Watte fassen, dass die Jeans, die man trägt, einem das Bein abschnürt. Durch die Kraftlosigkeit fängt man beim Laufen zu schlürfen an und das Bein zittert.
Frage 6: Wie oft kommen diese Schübe?
Alexandra: Ich habe das große Glück, dass ich bisher nur einmal jährlich einen Schub hatte und das überwiegend im Frühjahr.
Frage 7: Und was hilft Dir während der Schübe?
Alexandra: Hochdosierte Kortisoninfusionen und Ruhe.
Frage 8: Wie gehst Du heute mit der Krankheit um?
Alexandra: Sehr sehr positiv und ich kann offen darüber reden. Mein Lebensgefährte, meine Eltern, Freunde und Bekannte unterstützen mich, wo sie nur können. Wenn ich dann doch einen Schub bekomme, zieht es mich zunächst runter und ich könnte nur weinen, aber durch Gespräche mit meinen Lieben und meinem Neurologen geht es dann wieder aufwärts.
Aufgrund der Tatsache, dass ich mich nicht mehr spritze oder Medikamente einnehme, denke ich kaum noch daran, dass ich MS habe. Ich lasse mich davon nicht mehr einschüchtern und mache alles was geht.
Frage 9: Hast Du bis zur Diagnose irgendwas an Sport gemacht? Wenn ja was? Und konntest Du das weitermachen?
Alexandra: Ich war immer sportlich unterwegs, ich habe Badminton und Tischtennis gespielt. Badminton funktioniert leider nicht mehr, weil mir die Reaktionsfähigkeit in den Beinen fehlt. Rad- sowie Inlinerfahren geht noch immer sehr gut.
Frage 10: Wann bzw. warum kam der Impuls zum Laufen?
Alexandra: 2013 hat mich eine Freundin mit zum Walken genommen, daraus entwickelte sich dann irgendwann das Laufen und später das Trail Running.
Frage 11: Wann und warum kam der Impuls Wettkämpfe zu laufen?
Alexandra: Vor 4 Jahren habe ich bei einem Personal Trainer einen Zirkeltrainingskurs belegt, dieser kam auf die Idee und fragte mich, ob ich an einem Hindernislauf im Team teilnehmen mag. Mit meiner Arbeitskollegin hab ich auch den ein oder anderen „Volkslauf“ absolviert.
Frage 12: An welchen Wettkämpfen hast Du bisher teilgenommen?
Alexandra: 2x Mud Masters in Weeze, 2x Bad Wolfs Run, 2x beim Kemnader Burgenlauf je 10 km für muskelkranke Kinder, sowie 3x bei der Urbantrail Serie mit 10 km durch die städtischen Gebäude in der jeweiligen Stadt.
Frage 13: Kannst Du kurz über deine Teilnahme beim Bad Wolf Run berichten?
Alexandra:Nachdem es mir in 2017 so mega viel Spaß machte, mit meiner Laufkollegin die 8 km Runde zu laufen, haben wir bereits kurz nach dem Ziel schon festgelegt, im nächsten Jahr wieder dran teilzunehmen, da allerdings die doppelte Distanz, also 18 km. Dank dem Super Trainingsplan von Markus hab ich mich super vorbereiten können. Ich lernte durch Markus, nicht auf Zeit und Schnelligkeit zu laufen, sondern mich an meiner Herzfrequenz zu orientieren. Das führt zwangsläufig zwar mal dazu, dass ich zwischendurch ins Gehen übergehe. Aber was solls, mein Körper dankt es mir und mir macht das Laufen nun wesentlich mehr Spaß, weil ich dadurch nicht mehr so k.o. bin und ich somit auch längere Distanzen schaffe. Leider bin ich kurz -ca. 1,5 Wochen- vor dem Wettkampf mit einem grippalen Infekt erkrankt und ich musste pausieren. Ich bekam 3 Tage vorher dann doch grünes Licht von meinem Doc, dass ich starten darf. Zu viert ging es an den Start, die Aufregung stieg. Ich hatte jede Menge Spaß. Der trockene Sommer hat dazu geführt, dass es nicht so schön matschig war, wie das Jahr zuvor. Aber die Organisatoren haben sich große Mühe gegeben, das ein oder andere Schlammloch anzulegen. Es ging über Stock und Stein, durch Schlamm und Wasserpfützen. Wir wurden von einem Kettensägenmann gejagt und aus dem Wald springende Hexen haben uns erschrocken. Die Grippe hing mir jedoch nach und ich kämpfte mit der Kraft und meiner Ausdauer. Ich entschied mich während des Wettkampfs schweren Herzens dann doch für nur eine Runde, vor allem aber wegen des Kraftverlustes in meinem linken MS-Bein, wodurch ich schon das Humpeln anfing. Meine Laufkolleginnen haben mich während der 1. Runde tierisch unterstützt und mich in meiner Enttäuschung über den vorzeitigen Abbruch getröstet.
Frage 14: Es ist also ein schmaler Grat zwischen Deinem Willen und der Vernunft?
Alexandra: Ja, das ist es auch nach 18 Jahren noch. Es ist echt nicht einfach, man muss sehr sorgsam auf die Signale des Körpers hören. Das hab ich über die Jahre gelernt und kann es weitestgehend gut einschätzen. Anfangs bin ich meist immer weiter gelaufen, auch wenn sich das nicht richtig anfühlte. Nur ein Schritt kann einer zu viel sein und mein Bein fängt an zu kribbeln und wird taub. Heute teste ich mich langsam ran, wenn ich Probleme bemerke, mache ich langsamer und versuche es erneut. Bleiben die Symptome bestehen, breche ich mein Training oder meinen Wettkampf meinem Körper zuliebe ab. Ich trainiere dann noch meinen Oberkörper durch verschiedene Kraftübungen, gehe unter die Dusche, lege die Füße hoch und komme mit einer Tasse Melissentee zur Ruhe und in die Entspannung.
Frage 15: Wer oder was fördert Deinen Optimismus/Ehrgeiz?
Alexandra: Weil ich meinem Körper bzw. meiner Erkrankung zeigen will, dass nicht sie über mich bestimmen, sondern ich über sie. Der Sport ist mein Medikament, es tut mir einfach gut und ich kann Stress abbauen.
Frage 16: Hast Du weitere Ziele?
Alexandra: Ja, mein nächstes Ziel ist es, nur ganz für mich allein, die Distanz eines Halbmarathons zu bewältigen. Ich werde zukünftig keine Wettkämpfe mehr planen, da mir die Erkrankung eventuell einen Strich durch die Rechnung macht und ich nicht starten kann. Aber oft sind kurzfristige Anmeldungen möglich und bei den meisten Volksläufen ist eine spontane Teilnahme ja ohnehin möglich.
Frage 17: Vielleicht magst Du folgende Sätze vervollständigen? MS ist für mich…
Alexandra: …Nur ein Name einer Erkrankung, die aber nicht mich im Griff hat, sondern ich sie!
Sport/Laufen ist für mich…
Alexandra: …Freude, Leidenschaft, Naturgenießen, neue Kräfte tanken und Stressabbau!
Liebe Leser- und Leserinnen, da ich von Natur aus tiefen Respekt vor den Gefühlen und Befindlichkeiten anderer habe, habe ich mir das Interview nicht leicht gemacht und hatte ehrlicherweise auch große Berührungsängste mit dem Thema der Krankheit MS. Ich kenne Alexandra nur sehr kurz und wir sind uns persönlich nie begegnet. Aber von Anfang an des Kontakts zwischen uns wusste ich, Alexandra ist eine Löwin! Sie kämpft gegen ihre Krankheit mit allem, was ihr zur Verfügung steht und bietet ihr die Stirn. Sie steckt Rückschläge ein und schöpft immer wieder aufs Neue unermüdliche Kräfte aus den kleinen Dingen, die das Leben ausmachen. Darüber hinaus übt sie ihren Vollzeitjob als Kinderpflegerin mit voller Begeisterung und Leidenschaft aus, indem sie für die Kleinsten da ist, Ihnen zuhört, sie umsorgt, Ihnen Aufmerksamkeit und Liebe schenkt. Wer sie reden hört, mag nicht glauben, dass eine schlimme Krankheit sie heimgesucht hat, aus ihrer Stimme sprechen pure Lebensfreude, Optimismus und Kraft, wie man es bei „gesunden“ Menschen oftmals nicht findet. Ich finde das außerordentlich bewundernswert und ich hoffe, dass sich davon einiges auf mich übertragen hat! Denn mir zeigt es, dass egal an welchen Befindlichkeiten, Wehwechen oder sogar schweren Krankheiten man leidet, man es schlussendlich selbst in der Hand hat, wie man mit der Situation umgeht. Dass man trotz der schwersten Schicksalsschläge das Leben in vollen Zügen genießen kann, einzig und allein durch die richtige Einstellung und mit der Kraft des eigenen Willens. Von Herzen 1000 Dank!
von Manuela Schmidt (Redaktion )